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Caroline Winning

Die Spaltungen der Postmoderne und: wie uns das Integrale alle retten wird ;)

Es ist deutlich zu beobachten, dass eine weitere innergesellschaftliche Spaltung dazu gekommen ist: die der Geimpften versus Ungeimpften. Doch bevor die Sorge entsteht, ich würde über dieses Thema schreiben, keine Angst. Das Beispiel soll nur symbolhaft für die Verwerfungen unseres Zeitgeistes stehen und uns erlauben zu sehen, wohin die Reise (bestenfalls) führt.

Über die Zerrissenheit unserer derzeitigen westlichen Gesellschaften habe ich bereits an anderer Stelle geschrieben. Kaleidoskopartig spiegeln sich die unterschiedlichsten Menschen, Meinungen und Interessen in aufgefächerten Fragmenten wider und vermitteln den Eindruck von isolierten Inseln, die hocherhitzt und orientierungslos im Meer des Relativismus schwimmen. Denn was uns die Postmoderne als Nachfolgerin der Moderne in den letzten 40-50 Jahren gebracht hat, ist die Erkenntnis, dass wir Menschen uns unsere Welt jeweils vor dem Hintergrund unserer Geschichte und Erfahrungen individuell konstruieren. Eine ihrer Kernaussagen lautet daher, dass alles relativ ist und es keine allgemeingültige Wahrheit (mehr) gibt. Welche einst durch die Kirche propagiert und durchgesetzt wurde, übernahm mit Aufkommen der Aufklärung und dem Formulieren universeller Menschenrechte der Staat mit seinen Institutionen. Vor dem Erklärungshintergrund der Integralen Theorie wurden also konservativ-traditionelle, autoritäre Denk- und Verhaltensweisen (blau) von einem Bewusstsein abgelöst, welches basierend auf Vernunft, Ratio und Analyse den wissenden, objektiven Verstand über jeden Absolutheitsanspruch stellte und damit Ausgangspunkt für den fortschrittlichen, individualisierten und leistungsorientierten Geist der modernen Zeit darstellte (orange).


Der nächste Bewusstseinssprung (grün/ Postmoderne) manifestierte sich im Mainstream mit Beginn der 68er-Bewegung und brachte neue Denkweisen mit sich. Neben der Erkenntnis, dass reine Objektivität nicht existiert und Meinungen vielmehr vor dem Hintergrund subjektiver Erfahrungen gebildet werden sowie der Relativierung bisheriger allgemeingültiger Aussagen, kam das systemische Denken hinzu. Mit seiner Hilfe erkennen wir Wechselwirkungen und Dynamiken, die der aktuellen Zunahme von Komplexität gerechter werden als es das lineare Denken bisher schaffte.

So sehen wir bspw. dass die Kommunikation zwischen Führungskräften und ihren Mitarbeiter:innen keine Einbahnstraße von oben nach unten, sondern ein gegenseitiges Sichbeeinflussen ist. Dies hat weitreichende Auswirkungen am Arbeitsplatz und dadurch in den letzten Jahrzehnten dazu geführt, dass sich aufwendig Gedanken um die Gestaltung einer wertschätzenden Unternehmenskultur gemacht wird. Dort, wo einst hierarchische Strukturen ausreichten, um die Arbeit erfüllt zu bekommen, braucht es heute auch aktive Beziehungsarbeit, um Menschen zu fördern und zu halten.


Wie der Neoliberalismus die Postmoderne kaperte

Systemisches Denken, Konstruktivismus und Relativmus als zentrale Grundpfeiler des heutigen Denkens: so sehen einige Errungenschaften der spätmodernen Zeit aus. Für sich genommen sind sie allesamt dienlich für das bessere Verstehen der Zusammenhänge unseres Menschseins. In Verbindung mit einem ausgeuferten Individualismus und einem glorifizierten Wachstumsstreben als Zuspitzung des modernen Bewusstseins sind sie jedoch unlängst fatale Spaltungskräfte innerhalb unserer Gesellschaft geworden.

Der Neoliberalismus als der Exzess eines freiheitsliebenden, aufklärerischen und optimierungsfreudigen Weltbildes entartet das, was die Postmoderne als wesentliche Fundamente für eine globale, ökologisch-bewusste und sensible Welt geliefert hat: Kompetenzen, die es braucht, um Meinungen tiefgründiger zu verstehen, achtsamer mit sich und der Welt umzugehen und Komplexität ebenso wie Widersprüche auszuhalten. Der Einzelne, der sich gegenüber Markt, Kapital und Staat beweisen soll, um als gesellschaftsdienliches Mitglied anerkannt und zugehörig zu sein, erlebt, wie seine Partikularinteressen benutzt werden, um ihn gegen diejenigen in Stellung zu bringen, die (vermeintlich) andere Interessen vertreten.


So erleben wir Spaltung auf allen Ebenen, durch alle Individuen hindurch. Rassismus, Geschlecht und (Trans-)Sexualität, die Gleichberechtigung der Frau, Religionskämpfe, Veganismus - über diese Themen wird nicht mehr debattiert, sondern bis zur Vernichtung der Person gekämpft. Dabei verschwindet das Verbindende, Gemeinsame, das allzu Menschliche, zunehmend aus dem Blick. Gemeinsame Ängste, Sorgen, Nöte und Bedürfnisse wie Sicherheit, Zugehörigkeit, Anerkennung oder Liebe werden ausgeblendet. An ihre Stelle kommen Positionen und Interessen, angeheizt in einem öffentlichen Raum, der kein Bewusstsein mehr für das Inferno hat, was er anrichtet.

So hat es der Neoliberalismus geschafft, mit den gekaperten Aussagen der Postmoderne zur Relativität aller Aussagen, ein Klima aufzubauen, welches jeden Widerspruch ausgrenzt und so unverhandelbar macht. Denn: sobald ich den Mund aufmache und einen kritischen Blick auf die Mantren unserer Zeit werfe, verliert sich meine Meinung im Nirwana der Relativität. "Das ist deine Meinung, ich hab meine Meinung und beide stehen nebeneinander." Somit steht auch die Ansicht eines Despoten gleichrangig neben der eines gewaltfreien Demokraten und beide gehen friedlich ihres Weges. Ironie Ende.


Das Integrale Bewusstsein als Rettendes?

So stehen wir derzeit recht hilflos und überfordert im Dschungel der Sichtweisen und wissen nicht, wie umzugehen mit den überhitzten Auseinandersetzungen und zunehmenden Lagerbildungen. Verrennen wir uns derart, dass am Ende der große Knall droht? Oder gibt es etwas, was uns alle wieder die Füße wieder auf den Boden setzen lässt?

Wahrscheinlich wird es eine wilde Mischung werden, doch soviel ist sicher: die Postmoderne ist nicht das Ende der Fahnenstange. Wie wir mittlerweile aus Erkenntnissen der Entwicklungspsychologie, der Anthropologie und Bewusstseinsforschung wissen, dreht sich die Evolutionsspirale munter weiter. Vor ihrem Hintergrund zeitigt ein neues Bewusstsein seine Ankunft und mit ihm die Hoffnung und Aussicht auf Integration. Daher der Name: das integrale Weltbild als Ablöse der Postmoderne und als Möglichkeit, alle aktuellen Fragmente, Positionen und Denkweisen in einen größeren, sinnstiftenden Zusammenhang zu setzen. (Vorausgesetzt, die Postmoderne erbt nicht den Fehler ihres Vorgängers und kapert die wunderbaren neuen Errungenschaften auf ihre Weise.)


Das Integrale hat wie alle Weltbilder zuvor neue, hilfreiche Züge. Einer ihrer wesentlichsten ist, dass es mit seiner Metabetrachtung die Bedeutung der Erkenntnisse der vorhandenen Bewusstseinsebenen sieht, anerkennt und sie zugleich in ihrer Gültigkeit einordnet. Die Erkenntnisse, welche die unterschiedlichen Entwicklungsebenen hervorgebracht haben, sind damit nicht falsch, jedoch begrenzt. Bspw. kann so verstanden werden, weshalb demokratische, westliche Werte nicht ohne Weiteres in Gesellschaften importiert werden können. Je nach vorherrschendem Bewusstsein und damit Weltbild braucht es geeignete Vorgehensweisen. Bevor sich hierzulande die Demokratie entwickeln konnte, gab es feste Regeln, Rollen sowie hierarchische Strukturen, die für stabile Gesellschaften sorgten. Gleiches gilt für heutige Länder wie Afghanistan oder den Irak, denen westliche Standards aufoktruiert wurden, ohne ausreichend zu berücksichtigen, was wirklich vor Ort gebraucht war und ist.

Quelle: Wulf Mirko Weinreich

Das integrale Zeitalter bringt somit eine qualitative Betrachtung der Evolution des Lebens mit sich. Wir wachsen nicht einfach immer weiter in unseren Kompetenzen und Möglichkeiten. Vielmehr erleben wir eine Gerichtetheit des Wachstums unseres Bewusstseins hin zu immer mehr Komplexitätsverstehen, Perspektivübernahme, Weitsicht und Liebe. Denn was ist liebevoller als die Erkenntnis, dass jede/r nur so kann, wie sie/ er es gerade vermag und folglich angepasste Wege des Miteinanders gefunden und gesucht werden müssen. Das ist immer noch Individualität, nur nicht mehr mit dem Ziel, sie für alle gleich aussehen zu lassen.


Mit der Erkenntnis, dass die Integration von Widersprüchen einer Ebene jeweils nur von einer höheren/ späteren Entwicklungsebene aus geschehen kann, gibt uns das Integrale die Hausaufgabe auf, das Wertvolle jeder Bewusstseinsebene zu sehen, zu würdigen und dafür zu sorgen, dass es weiterhin seine gesunde Ausprägung findet. Tradition hat nichts Schlechtes, ebenso wie das Gendern. Beides hat seinen Platz innerhalb unserer Gesellschaft und so liegt es an ebendieser dafür zu sorgen, dass beides Würdigung erfährt, ohne zum Dogma erklärt zu werden.

Es wird dann absurd, wenn Kant als Rassist bezeichnet wird und deshalb sein Werk als solches von "alten, weißen Männern" abgetan wird - in Verkennung des immensen Nutzens, der sich daraus für die Erklärung der noch heute gültigen Menschenrechte ergeben hat. Mit derartigem Durcheinander räumt die Integrale Theorie in Anlehnung an das Integrale Bewusstsein auf und zeigt Wege auf, wie ein Miteinander aussehen kann, in welchem jede/r Anerkennung für ihre/seine Weltsichten und die Bedürfnisse, die daraus erwachsen, erfährt.

Es bleibt abzuwarten, ob diese fundamentale neue Erkenntnis, die das Integrale mit sich bringt, uns die Entspannung verschafft, die unsere heiße Zeit so dringend braucht.


Weiterführende Literatur:

Ken Wilber: Eine kurze Geschichte des Kosmos.

Wulf Mirko Weinreich: Integrale Psychotherapie und seine Homepage.

Bernd Stegemann: Die Öffentlichkeit und ihre Feinde.


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