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  • Caroline Winning

Ein hoffnungsvoller Blick auf die Überwindung gesellschaftlicher Spaltung

Die politische Tragödie, die sich diese Woche in Washington D.C. abgespielt hat, stellt einen weiteren Gipfelpunkt einer tiefen gesellschaftlichen Spaltung dar. Integral betrachtet krachen hier verschiedene Bewusstseins- und damit Werteebenen aufeinander, angestachelt durch einen US-Präsidenten, dessen geistig-kognitive Entwicklung es unmöglich macht, eine andere Perspektive als die seine einzunehmen.


Ein differenzierter Blick soll das verdeutlichen:

Menschliche Entwicklung verläuft in Phasen, die aufeinander aufbauen, d.h. keine Ebene kann erreicht werden, ohne die vorherige durchlaufen zu haben. Ein Überspringen ist nicht möglich. So ist sichergestellt, dass wir die in den jeweiligen Ebenen zu lernenden Fähigkeiten behalten.

Jede Entwicklungsebene bringt neue Perspektiven, Kompetenzen und auch Werte hervor. Während wir als Säuglinge noch ganz eins mit der Umwelt und von ihr nicht abgegrenzt sind, formt sich ab dem Lebensalter von ca. 1,5 Jahren zum ersten Mal unser Ich, unsere ganz eigene Persönlichkeit. Wir erleben das an kleinen Kindern, die plötzlich darauf bestehen, alles alleine zu machen - ohne Hilfe von Mama oder Papa.

Im Grundschulalter bildet sich die Fähigkeit der Perspektivübernahme (blau), im Jugendalter das abstrakte Denken (orange), im frühen Erwachsenenalter das pluralistische Denken in Kontexten (grün), später kommen Qualitäten wie ganzheitliches Bewusstsein (gelb) und Konstruktbewusstsein (türkis) hinzu.


Die jeweiligen Phasen haben in den Beschreibungen einiger Wissenschaftler Farbzuweisungen bekommen, bei anderen drücken Zahlen die Reihenfolge der Entwicklungsebenen aus. Damit wird ein Früher und Später gekennzeichnet und verdeutlicht umso mehr: erst, wenn eine Entwicklungsebene durchlaufen und die in ihr liegenden Potentiale entfaltet worden sind, beginnen sich neue Fähigkeiten zu entwickeln. Am Beispiel der Moralentwicklung sieht das so aus: frühe Moral (Entwicklungsebene blau) ordnet die Welt in richtig und falsch. Hier die Guten, dort die Bösen. Erst mit mehr Reife (orange und später) wird das moralische Urteil differenzierter und bezieht mehr als ein Kriterium in sein Urteil mit ein.

Die Entwicklungsebenen von Mensch & Gesellschaft

Das Besondere an unserer Entwicklung: je weiter sie reicht, desto stärker sind wir als Menschen in der Lage, unseren Blick zu weiten. Konkret bedeutet das: wir können mehr von der Welt verstehen, komplexe Zusammenhänge leichter erfassen und gleichzeitig mehr Toleranz, Moral, Güte, Ethik und Empathie an den Tag legen. Vorausgesetzt, unsere Entwicklung verläuft relativ schadlos und wird unterstützt durch ein gerüttelt Maß an Bildung, emotionalem Halt und Vertrauen.


Donald Trump zeigt ein Verhalten, welches darauf schließen lässt, dass seine Entwicklung nie über die rote Ebene hinausging. Aus seiner Brille ist die Welt ein gefährlicher Dschungel, in dem das Recht des Stärkeren gilt. Im Fokus stehen schnelle Impuls- und Bedürfnisbefriedigung, das Streben nach Macht um jeden Preis und die eingeschränkte Sicht eines krankhaften Egozentrikers. Rationalität und Analyse, Empathie und Moral, Disziplin und Pflichtbewusstsein - allesamt Qualitäten späterer Entwicklungsebenen - haben sich bei ihm nicht herausgebildet.

Das Fatale daran: ohne das Integrale Modell mit seiner Entwicklungsbeschreibung zu kennen, wird nicht ersichtlich, dass ein Großteil der US-amerikanischen Bevölkerung einen Präsidenten gewählt hat, der auf einer früheren Entwicklungsstufe steht als sie selbst.


Ich würde nicht so weit gehen zu sagen, dass die Mehrheit der Pro-Trump-Wähler:innen eine ähnlich fixierte Egozentrierung hat. Ich nehme vielmehr an, dass ein großer Teil von ihnen soziale Fähigkeiten wie Perspektivwechsel, Anpassungsfähigkeit und Fürsorge tief verinnerlicht hat und damit die Kompetenzen und Werte der nächstspäteren Ebene Blau repräsentieren. Hierzu zählen zudem Traditionsbewusstsein, Pflicht, Sorge für das Gemeinwohl sowie Ordnung, Struktur und vor allem Stabilität. Es soll geregelt zugehen: wer mehr leistet, verdient mehr, loyales Handeln wird belohnt, Ehr´wem Ehre gebührt. Ähnliche Sichtweisen mit ihrem Fokus auf Familie, Nationalstaat und Bewahrung einer "deutschen Kultur" finden wir hierzulande bei der AfD und ihren Anhänger:innen. Und nicht nur bei der AfD, auch in anderen Polit- und Bürgerkreisen finden sich immer lauter werdende Rufe nach nationaler Besinnung und konservativ-traditionellen Werten.


Es wäre nun falsch davon auszugehen, dass diejenigen mit einer solchen Gesinnung sich einfach etwas toleranter zeigen müssten. So wie man mit Nazis nicht reden kann, kann man auch keine Entwicklung anordnen - zumal das ein Hieb gegen die Schönheit und Wertigkeit der jeweiligen Phasen wäre.

Es gilt vielmehr zu fragen: wie können wir das, was den Vertretern der einzelnen Ebenen wichtig, ist, angemessen in einen Gesellschaftsentwurf inkludieren, in dem alle vorkommen? Wie können wir besser integrieren statt den Menschen, die nicht pluralistisch denken, ständig unter die Nase zu reiben, sie seien ausgrenzend, feindlich und rückständig?


Für den ernsthaften Versuch, über Fragen dieser Art die Spaltung der Gesellschaft zu überwinden, braucht es ein Bewusstsein über die Entwicklungsphasen. Wir haben es mittlerweile mit einer zutiefst diversen Gesellschaft mit den unterschiedlichsten Werten und Bedürfnissen zu tun. Von Purpur mit seinem Sinn nach Zugehörigkeit bis hin zu Orange und seinem Optimierungsstreben ist alles dabei. Das macht es beileibe nicht einfach. Aber einfache Antworten sind nicht das, was gebraucht wird. Stattdessen müssen wir nach Lösungen suchen, die den vielschichtigen Bedarfen möglichst umfassend gerecht werden. Integration statt Exklusion ist das Zauberwort. Dann haben wir vielleicht eine Chance. Ich bleibe integral zuversichtlich.


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