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Caroline Winning

Falsche Verantwortung: wenn Kinder die Themen der Eltern übernehmen

Übernimmst du Verantwortung für dich selbst? Oder eher für andere, vielleicht gar Hehres wie den Weltfrieden? Anders gefragt: erlebst du öfter Überforderung und Getriebensein? Plagen dich Minderwertigkeitsgedanken oder Versagensängste? Oder fühlst du dich blockiert, deine eigenen Bedürfnisse anzusprechen und durchzusetzen? Taucht hier ein Ja auf, besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass du bereits in deiner Kindheit Verantwortung übernommen hast, die eigentlich bei den Großen lag.

In der Arbeit mit Menschen begegnet mir dieses Phänomen so gut wie immer, mich selbst eingeschlossen. Wir alle haben als Kinder Themen unserer Herkunftsfamilie unbewusst übernommen, für die wir weder verantwortlich noch in der Lage waren, sie zu bewältigen. Wie gesagt geschieht dieser Vorgang unwillkürlich. Mittlerweile wissen wir aus der Traumaforschung, dass er in manchen Fällen bereits mit Eintritt der Zeugung beginnt, in anderen erst in späteren Jahren. Ein Beispiel: finden sich Kinder in einem Familienumfeld wieder, in dem häufig auf destruktive Weise gestritten wurde, streifen sie sich die Rolle des Vermittlers über und versuchen zu schlichten. Da Kinder ungeeignet dafür sind, der Coach der eigenen Eltern zu sein, überfordern sie sich dadurch massiv. Gibt es hier kein Bewusstsein auf Seiten der Erziehungsberechtigten, bleibt die Belastung beim Kind und führt unbewusst zu psychischem Leistungsdruck, Versagens- oder Schuldgefühlen. Der Druck lässt eine ganze Reihe an inneren Antreibern und Glaubenssätzen entstehen, bspw. "Ich darf Mama und Papa nicht zusätzlich belasten" - ein Garant dafür, dass Gefühle wie Trauer, Angst oder Wut und damit auch eigene Bedürfnisse & Wünsche unterdrückt werden.

Die Last übernommener Verantwortung führt zum Ausbrennen

Eine andere Auswirkung ist ein überhöhter Anspruch an sich selbst. Dieser äußert sich in Perfektionsstreben und dem Gefühl, ständig etwas tun zu müssen. Mein innerer Leistungsträger klingt dann ungefähr so: "Du musst noch dies, du musst auch noch das und das ist auch noch zu erledigen." Es kommt ihm gar nicht in den Sinn, nach dem Wozu des ganzen Aktivismus zu fragen. Eine ToDo folgt dem nächsten und am Ende des Tages bin ich erschöpft und lustlos zugleich. Die übernommene Verantwortung wirkt so machtvoll, dass ich mich selbst und damit die Verantwortung für mich dabei vergesse.

Der Mangel an Selbstfürsorge und damit einhergehend einer fehlenden VerANTWORTung für unsere eigenen Bedürfnisse ist daher eine folgenschwere Konsequenz ehemals in Kindheitstagen einverleibter Themen der Erwachsenen. Die übernommenen Themen der Großen führen außerdem zu dem, was in der systemischen Aufstellungsarbeit als "falsche Größe" bezeichnet wird. Wie ein Mantel, der ein Leben lang zu groß war, führt die Last, die das Tragen mit sich bringt, dazu, die eigene Größe gar nicht erst leben zu können. Hier erlebe ich oft eine Tragik: erkennen wir in der Lebensmitte oder gar erst später, wie wenig wir unser Eigenes leben und wie verstrickt wir in die Themen unserer Herkunftsfamilie sind, fällt es unendlich schwer, die Verantwortung zurück und an den Platz zu geben, wo sie hingehört. Fragen wie "Und wer bin ich dann?", "Was tue ich, wenn ich mich nicht mehr um andere, sondern um mich kümmere?" werden eklatant und erzeugen oft Widerstand, für sich selbst in die volle Verantwortung zu gehen. Das Bekannte ist uns allzu vertraut. Hinzu kommt die Angst vor dem eigenen Licht. Wer schon einmal sein Potential aufgestellt hat, weiß, wie einschüchternd die eigene, volle Größe sein kann. Es ist unser Licht, das wir fürchten, nicht unseren Schatten.

Wir fürchten eher unser Licht als unseren Schatten

Nelson Mandela hatte bereits erkannt, welche umfassende Veränderung es mit sich bringt, dem eigenen inneren Licht zu ANTWORTen, also die Verantwortung für unsere Lebensaufgabe zu übernehmen. Ich spüre selbst im Schreiben, wie ehrfürchtig mich die Beschäftigung mit dem vollen, verkörperten Potential macht. Die Begrenzung in Form von falschen Verantwortlichkeiten suggeriert eine Behaglichkeit, die viel Überwindung braucht. Über den eigenen Schatten zu springen und gnadenlos die gewohnten Limitierungen und Konditionierungen abzustreifen, sprengt alle Vorstellungen, die wir von dieser Welt haben. Es ist der höchste Akt, die umfänglichste Transformation, die wir erfahren können: ganz wir selbst zu werden und in die volle Verantwortung für uns selbst zu gehen.

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