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Gewaltfreie Kommunikation leben

12 Teilnehmer_Innen sitzen im Kreis, eine von ihnen meldet sich, um mit Hilfe der Gewaltfreien Kommunikation eine Klärungshilfe für ihr Anliegen zu bekommen. 40min und eine Begleitung über die 4 Schritte später prasselt es engagiert auf mich ein:

„Das kriege ich nie so hin, wie du das eben gemacht hast!“

„In meinem Alltag komme ich gar nicht erst dazu, nach Bedürfnissen zu fragen.“

„So spricht doch keiner, da wird man ja angeschaut als hätte man was genommen.“

Sätze, die ich als GFK-Trainerin selbst einst gedacht habe und nun in fast jedem Seminar höre. Unsicherheiten getarnt als Fragen und Einwände, wie es gelingen kann, die Gewaltfreie Kommunikation lebbar und authentisch zum Einsatz zu bringen.

So heilsam ich sie immer wieder für mich und andere erlebe, so ungewohnt gestaltet sich ihre Anwendung in einer Kultur, die von Recht und Unrecht, von Schuld und Unschuld, Strafe und Belohnung lebt. Ein gänzlich anderes Menschenbild liegt der Gewaltfreien Kommunikation, begründet durch Marshall B. Rosenberg, zu Grunde. Eines, welches auf Augenhöhe, Gleichwertigkeit und dem Erkennen der guten Absicht hinter jeder Handlung basiert.


Wie Angst unser Miteinanderformt


Wir haben gelernt, einander skeptisch gegenüber zu treten. Misstrauen, Vorsicht und Angst prägen viele unserer ganz alltäglichen Interaktionen. Wenn der Kollege mal nicht im Büro erscheint, obwohl der Aktenberg hoch ist, dauert es gewohnheitsgemäß nicht lang und die ersten Stimmen unken, er würde der Arbeit bewusst aus dem Weg gehen. Da wird zu wenig Wechselgeld rausgegeben und prompt lauert die Unterstellung, das Gegenüber wolle sich bereichern. Wenn wir achtsam mit unseren Gedanken sind, wird uns schnell bewusst werden, wie selbstverständlich wir in den Bereich von Unterstellung, Bewertung, Verurteilung, Vergleich oder Vorwurf rutschen. Die miesepetrige Kollegin will halt nicht, dass es mir gut geht. Gott sei Dank stehen mir nur noch 2 Jahre mit ihr bevor, bis sie in Rente geht…!

Es ist ein Reigen an misslaunigen, den Übeltäter suchenden Gedanken, die viele der Köpfe unserer Welt durchziehen. Bis hinauf in die Vorderstübchen unserer Politiker und Staatenlenker. Vielleicht hast du dich heute erst wieder dabei ertappt, wie du anderen eine schlechte Absicht unterstellt hast. "Das macht er/sie doch nur, um…!“  Hier wirkt die Gewaltfreie Kommunikation wie ein antiseptischer Balsam.


Das Gute sehen


Sie dringt tief ein in die Wurzel von dem, was wir gesellschaftlich seit eh und je fressen. Ihr humanistischer Blick ist schonungslos und gleichzeitig auf eine Art liebend, wie man nur sein kann, wenn sich mit den Facetten des Lebens rundum angefreundet hat. Eines ihrer Leitmotive ist: jede Handlung, die ein Mensch vollzieht, tut er, um sich ein Bedürfnis zu erfüllen. Und da alle Bedürfnisse in ihrem Kern lebensdienlich und damit positiv sind, steckt hinter jeder Tat eine gute Absicht.

Dies ist einfach zu erkennen, wenn wir uns helfende, großzügige oder gar lebensrettende Handlungen ansehen. Was aber, wenn wir erleben, wie Menschen einander ans Eingemachte gehen, sei es an Geld oder, Gott bewahre, unser Leben? Mutet es nicht grausam zynisch an, hier von einer „guten Absicht“ zu sprechen, die wir dem/-r Täter/-in zugestehen?


Die Schönheit in einem Menschen zu sehen ist dann am nötigsten, wenn er auf eine Weise kommuniziert, die es am schwierigsten macht, sie zu sehen.

Marshall B. Rosenberg


Bei all der physischen Gewalt, dem Missbrauch, der Verletzung und Unterdrückung, die uns jeden Tag begegnen, stellt sich die Frage, inwiefern ein humanistisches Bild vom Menschen als ursprünglich gutes, kooperatives, fühlendes und liebendes Wesen grundlegend den Blick auf die Welt verändern kann? Und damit letztlich sie selbst in einen Ort verwandelt, an welchem Macht mit- statt gegeneinander gelebt wird?


Eine Brücke zwischen Kopf und Herz


David Bohm sprach davon, wie das Denken in seinem Wesen Trennung herbeiführt. Wenn ich denke, verfalle ich in der Regel in Bewertung, Vergleiche, Beurteilung, Kategorisierung, Interpretation und Analyse. So ist unser Denken geschaffen, es liegt in seiner Natur, die Dinge auseinanderzunehmen und dabei keinen Stein auf dem anderen zu lassen. 

Es ist uns vielleicht nicht bewusst, doch wir können davon ausgehen, dass unsere Ratio, unser denkender Verstand, eine dominante Vormachtstellung in der Auseinandersetzung mit der Welt erlangt hat. Wo früher, zu mittelalterlichen Kirchenzeiten noch der Glaube die Köpfe füllte, ist es heute der kritisch-prüfende Geist. Nach der Loslösung der Wissenschaft von der Kirche ist dies ein Markenzeichen moderner Gesellschaften geworden: ich prüfe, also bin ich. 

Diese Errungenschaft tat uns allen gut! Wir brauchen vernünftig denkende Menschen mehr denn je. Gleichzeitig brauchen wir Menschen mit Herz. Menschen, die sich und andere fühlen können und mit einem liebenden, freundlichen Blick durch die Welt gehen. Hierhin hat mir die GFK den Weg geleuchtet. Sie kam daher als eine Haltung und eine Methode, die meine Sichtweise auf mich als auch auf mein Gegenüber in ein völlig neues Licht tauchte. 

Sie lehrte mich Selbstfürsorge und wahre Akzeptanz, ermöglichte mir Ausgeglichenheit zwischen äußerem Tun und innerem Ruh’n, sie zeigte mir, dass wahre Sicherheit nur von innen kommt und wie ich echte Verantwortung für mich und andere übernehme.

Sie räumte gleichzeitig mit einigen Mythen auf, die mir immer wieder begegnen, wenn wir uns zum ersten Mal auf ihr Terrain begeben:

Die Mechanismen unserer Zeit: Ausgrenzung durch Verurteilung, Scham und Schuld

Mythos No. 1

In der Gewaltfreien Kommunikation wird nur noch lieb und nett miteinander gesprochen.

Ganz im Gegenteil, möchte ich ausrufen! 

In der GFK geht es alles andere als brav zu. Da Gefühle wie Wut, Enttäuschung oder Trauer akzeptiert und ausgedrückt statt unterdrückt werden, ist die Kommunikation vielmehr klar und direkt. Der Unterschied zu unserer alltäglichen, gewohnten Sprache ist das Verwandeln von Vorwürfen und Anklagen in die Benennung dessen, was ich brauche. Beispielsweise sage ich nicht: „Du hörst mir gar nicht zu!“, sondern drücke mein Bedürfnis nach Verbindung aus, indem ich sage: „Mir ist unser Austausch wichtig und ich möchte von dir wissen, ob du gerade dazu bereit bist.“ 

Ja, das kostet, vor allem Anfangs, etwas mehr Zeit, mich auf diese Weise auszudrücken. Und erscheint ungewohnt. Am Ende des Tages spart es mir jedoch den großen Streit, indem ich auf meinem Teller bleibe und von mir selbst spreche, anstatt dem anderen ein schlechtes Gewissen einzupflanzen. Der Verteidigungsangriff ist mir gewiss, wenn ich meine Tiraden und Spitzen abwerfe. Und die Beziehung nachhaltig gestört. 

Die GFK erhält die Verbindung, auch im Konflikt, indem ich mich zeige, berührbar mache und mein Gegenüber nicht verantwortlich für meinen Zustand. Sie rückt stattdessen die Selbstverantwortung in den Vordergrund, wenn ich mir bewusst mache, für meine Bedürfnisse in Eigenregie Sorge zu tragen und dies nicht insgeheim von meinem Streitpartner zu erwarten. 

Selbstermächtigung ist ein schönes Wort und drückt aus, wobei mir die Gewaltfreie Kommunikation verhilft: durch ein Erkennen und Benennen meiner Bedürfnisse kann ich losgehen und mich um mich selbst kümmern. Gleichzeitig kann ich dem anderen ein konkretes Bild davon vermitteln, wir er oder sie zu meinem Wohlbefinden beitragen kann. So schaffe ich Transparenz, Verbindlichkeit und Offenheit im Kontakt.


Mythos No. 2

GFK hat im schnellen, fordernden Alltag keinen Platz.

Wie alles im Leben, was wir neu lernen, braucht das Umdenken Zeit und Raum. Mir kamen anfangs nur gestelzte, konstruiert wirkende Sätze raus, als ich damit begann, die GFK in meinem Alltag anzuwenden. „Warst wohl mal wieder in einem Seminar.“, hieß es dann zurück. 

Neben den verbalen Startschwierigkeiten lernte ich jedoch, Situationen rückblickend durch die Brille der GFK zu betrachten. Welche Bedürfnisse haben mein Gegenüber und ich angetrieben, wie habe ich durch meine gewaltvolle Sprache dazu beigetragen, die Situation noch weiter anzuheizen? Diese Sichtweise erweiterte meinen Blick auf menschliches Handeln und seinen Ursprung. Sie erleichterte zudem das Verstehen meiner Antriebe und die meines Konfliktpartners und ich merkte: im Kern liegen die Bedürfnisse, die wir uns erfüllen wollten, gar nicht so weit voneinander. Wertschätzung, Anerkennung, ernst genommen werden, Respekt, oft schwingen diese ganz grundlegenden Bedürfnisse in unser aller alltäglichen Handlungen mit. 

Ich wurde mit der Zeit geübter darin, meine eigenen Bedürfnisse zu erkennen und auszudrücken. Mich selbst besser zu kennen baute nach und nach die Brücke dahin, auch mein Gegenüber schneller und leichter zu verstehen. 

Heute läuft die Frage nach dem zugrundeliegenden Bedürfnis fast immer mit, sie ist mir wie zur zweiten Brille geworden. Ich brauche eine festgefahrene Situation also nicht immer erst im Nachhinein verstehen lernen, sondern habe alltagstaugliches GFK-Denken und Sprechen entwickelt. 

Mit der Zeit kommen Klarheit und die richtigen Worte. Im richtigen Moment.


Mythos No. 3

Gewaltfreie Kommunikation verändert meine Persönlichkeit.

Wir wollen uns selbst treu bleiben, wenn wir ein neues Denken, eine andere Haltung einnehmen. Authentisch durch’s Leben gehen und uns nicht verbiegen (lassen).

Wie eine Teilnehmerin letztens anmerkte, geht es weniger um’s Verbiegen als darum, sich zu Ent-biegen. Es geht um Befreiung von übernommenen Annahmen über die Welt und mich, eingerosteten (Vor-)urteilen und mich blockierenden Glaubenssätzen á la „Was könnten denn die Leute denken, wenn ich…?!“ 

Ich fand dieses Wortspiel sehr passend für das, was die GFK für uns tut. Sie räumt auf mit Selbsturteilen wie „ich bin nicht gut genug“, enttarnt gesellschaftliche Mythen wie „Wenn jeder an sich denkt, ist an alle gedacht.“ und lässt uns klarer, aufgeräumter, liebender werden. 

Bei meinen ersten Versuchen mit der Gewaltfreien Kommunikation standen die richtigen Worte im Vordergrund. Wie sage ich es? Dabei passten die Gefühls- und Bedürfnisworte so gar nicht in meinen angestammten Wortschatz. „Ich bin traurig.“  - wie oft kam es denn bisher vor, dass ich sowas sagte? Fast bis gar nicht. Es war ungewohnt, mich in mich selbst einzufühlen, die Welt mit ungefiltertem, beobachtendem Blick wahrzunehmen und tief nach Bedürfnissen zu tauchen in meiner Kommunikation mit anderen.

Also, ja, GFK kann deine Persönlichkeit umkrempeln. Radikal sogar! Sie schüttelt sie durch, klopft sie kräftig ab, streicht sie glatt und flickt ihre brüchigen Stücke. Am Ende bleibt eine weiche, verletzliche, klare und durch und durch authentische Gestalt deiner selbst.


Mythos No. 4 Gewaltfreie Kommunikation hilft nicht in jedem Konflikt, manchmal müssen auch handfeste Taten her. Manche Interaktionen brauchen mehr als ein deutlich ausgesprochenes Nein. Das erkannte auch Marshall Rosenberg, indem er den Begriff der schützenden Anwendung von Macht prägte. Und das aus gutem Grund: Peace, Love und Harmony mussten in unserer westlichen Gesellschaft erst errungen und ins Bewusstsein einer größeren Mehrheit gebracht werden. Ohne die 68er-Bewegung, den Vietnam-Krieg und seine weltweiten Gegenreaktionen, ohne die Ökologiedebatte und die Emanzipierung der Frauen wäre die Gleichwertigkeit weiterhin eine leere Hülle ohne Inhalt.  All diese Freiheitskämpfe verschaffen uns bis heute ein Miteinander, welches Stück für Stück die Altlasten einer patriarchalischen Dominanzkultur des Stärkeren abbaut. Mit Blick auf andere Länder und Kulturen müssen wir jedoch festhalten, dass unser aufklärerisches Ideal noch lange nicht in alle Köpfe und Herzen vorgedrungen ist. Und vielleicht so auch nie dort ankommt. Hier sind noch immer Herrschaftshierarchien am Werk, die das Bild von Gut vs. Böse, dir vs. mir und dem Recht des Stärkeren für viele Menschen zum Alltag machen. Bedürfnisorientierung, Empathie, Gefühle und eine relativistische Perspektive auf das Leben erfordern ein Bewusstsein, welches über mich selbst hinausführt. Hin zum Gegenüber und zu unserem globalen Dorf. Wer täglich darum kämpfen muss, heil, unversehrt und genährt durch den Tag zu kommen, wird weniger Möglichkeit dazu haben, sich empathisch auf das Gemeinwohl einzustimmen.  Klare Handlungen und ein körperliches Stopp sind somit sinnvoll, wenn es darum geht, Gewalt einzudämmen. Ein Beispiel aus dem Hort: der 9Jährige schreit die Erzieherin an mit „Du dumme Fotze!“ und holt dabei zum Prügeln aus. Hier (verbal) zurückzuschlagen ist wenig hilfreich, kurbelt es die Gewaltspirale doch nur weiter an. Ich muss jedoch gleichzeitig nicht über meine Grenzen latschen lassen, indem ich dem Jungen nichts entgegen halte. Je nach Gegebenheiten gehe ich vielleicht erst einmal ganz aus der Situation raus. Oder trete ihm signalstark gegenüber und spreche ein deutliches „STOP. Das tut mir weh.“ Die GFK tritt grundsätzlich für den nachhaltigen Frieden ein. Wenn dieser jedoch vorerst durch beschützende Anwendung von Macht errungen werden muss, wird diese Lösung nicht grundsätzlich ausgeklammert. Den Unterschied macht immer die innere Haltung. Drückt sie Augenhöhe aus und verbindet sich somit mit dem dahinter liegenden, unerfüllten Bedürfnis? Hieran wird deutlich, ob ich mit gebieterischer oder schützender Anwendung von Macht unterwegs bin.

Die GFK brachte mir vieles bei. Sie ist mir zur Klärungshilfe, zur Brücke, zur heilenden Kraft geworden. Ich schätze an ihr, dass sie urteilsfrei das wahrnimmt und so sein lässt, was gerade ist. Sie bewertet nicht, sie interpretiert nicht, sie beobachtet nur mit einer reinen, stillen Präsenz. Über die Empathie, die vorurteilsfreie Präsenz, die innere, beobachtende Verbindung mit mir selbst, gelange ich in einen Zustand des inneren Friedens. Dies ist das größte Geschenk, was ich mir und der Welt machen kann. Denn: ich kann anderen nur geben, was ich selbst habe.


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