Gewaltfreie Kommunikation und die Heilung des inneren Kindes - ein erweitertes Modell
Die Gewaltfreie Kommunikation bietet mit ihrer Haltung und den 4 Schritten ein effektives Werkzeug, respektvolle Beziehungen zu sich selbst & anderen aufzubauen.
Wir können mit ihrer Hilfe eine tiefgehende Selbstklärung erreichen, um was uns in konkreten Konfliktsituationen wirklich geht. Mit der Frage nach Gefühlen & Bedürfnissen führt sie aus der rein sachlichen Betrachtung in die psychologische und damit auch in die unbewusste Ebene. Um es mit Worten von Vera Birkenbihl zu sagen: auf 11 km Unbewusstes kommen 15 Millimeter Bewusstes. Der innere Keller ist gigantisch, also macht es Sinn, ausreichend Lampen anzubringen. Was uns zurück zur Erkundung der eigenen Gefühle & Bedürfnisse führt. Diese stehen im Zentrum der GFK. Wir wissen heute, dass jede/r sich ihre Realität selbst konstruiert und damit Wirklichkeit immer subjektiv ist. Je nach Gepäck in meinem Rucksack triggert mich eine Situation oder auch nicht. Der situative Reiz kann dabei größtenteils vernachlässigt werden, da er maximal bis zu 5% entscheidend dafür ist, wie ich auf einen Satz, eine Information oder ein Verhalten reagiere. 95% werden dadurch bestimmt, welche Erfahrungen, Prägungen und kulturelle Einflüssen mich geformt haben. Nun fragt die GFK nicht nach Vorerfahrungen, sondern richtet ihr Augenmerk auf die erfüllten wie unerfüllten Bedürfnisse. Wenn ich mir bewusst mache, dass mir durch die Aussage meines Partners Wertschätzung fehlt, kann ich dafür Sorge tragen, mein Bedürfnis wieder aufzutanken. Dabei löse ich mich von der Erwartung, dass nur mein Partner mir Wertschätzung geben kann. Dies ist ein wichtiger Schritt, um ganz in die erwachsene Eigenverantwortung zu kommen, denn binde ich mich einzig und allein an eine Person oder eine bestimmte Handlung, um mein Bedürfnis zu erfüllen, kann es sein, dass ich mitunter mein ganzes Leben lang (umsonst) darauf warte.
Gewaltfreie Kommunikation hält uns auf diese Weise dazu an, uns für die Möglichkeiten des Lebens zu öffnen, gänzlich andere Wege zu gehen als wir ersehnt oder uns vorgestellt haben. Sie öffnet gleichsam die Tür, das Gegebene anzunehmen und zu betrauern, wenn es uns lange nicht möglich ist, unsere Bedürfnisse zu befriedigen. Das beste Beispiel sind frisch gebackene Eltern mit ihrem Wunsch nach Ruhe und Erholung. Selbst mit tatkräftiger Unterstützung kann dieser wahrscheinlich nicht zu 100% erfüllt werden und so geht es in jeder Situation darum zu erkennen, was in meiner Macht steht und was es gilt, mit Bedauern und Demut anzunehmen.
Da die GFK ein Mittel ist, einen gelasseneren Umgang mit Konflikten zu finden, richtet sie ihr Augenmerk auf das, was uns im Hier & Jetzt triggert, uns also emotional packt. Diese emotionalen Trigger stehen i.d.R. mit Erfahrungen aus den ersten 10 Lebensjahren in Verbindung. Ein Satz, der mich heute verletzt oder wütend macht, lässt unverdautes Material aus meinem Unbewussten nach oben steigen, welches bereits lange in meinem Keller lagert, oft über Jahrzehnte. Das merken wir immer daran, dass wir nicht so schnell aus dem Drama aussteigen und uns wieder beruhigen können. Im Grunde ein kindliches Verhalten, da es uns nicht gelingt, mit Vernunft und Augenmaß zu reagieren. Stattdessen sind wir wütend, trotzig, enttäuscht, traurig oder angstvoll und erleben, wie uns diese Gefühle im Griff haben - statt wir sie. Die heutige Konfliktsituation bringt damit unser inneres Kind auf die Vorderbühne, welches unserem erwachsenen Ich das Zepter aus der Hand reißt. Schmerzhafte Erfahrungen treten ins Bewusstsein, die wir zu Kindertagen nicht überwinden konnten und heute noch mit uns rumschleppen. Glaubenssätze und Überlebensstrategien kommen zum Vorschein, die sich gebildet haben, als wir noch zu wenig Handlungsoptionen hatten, um leichter mit dem Schmerz umzugehen.
Mir ging es kürzlich so nach einem Gespräch mit einem Kunden. Ich spürte Unruhe und merkte, dass ich begann mich selbst zu kritisieren. Im Kontakt mit meiner Kleinen spürte ich ihre Sorge, etwas falsch gemacht und möglicherweise nicht an alles gedacht zu haben. Eine typische Reaktion, wenn wir in Kindheitstagen wenig Rückmeldung erhalten dazu haben, für das geliebt zu werden, was wir sind und nicht für das, was wir geleistet haben. Der Glaubenssatz in diesem Fall lautete also: Ich bin nicht gut genug. Meine bisherige Kompensationsstrategie bestand darin, noch unermüdlicher zu arbeiten, also zu leisten. Das Bedürfnis hierbei ist vor allem der Selbstwert, der sich darum gebildet hat, mich besonders anzustrengen.
Eine angemessene, erwachsene Reaktion meinerseits wäre gewesen, mir nach dem Gespräch kurz Gedanken zu seinem Verlauf zu machen und mich einmal zu fragen, was ich ggf noch hätte anders machen können. Oder mich gar nicht mehr gedanklich darum zu kümmern, da keine Signale seitens des Kunden kamen, die seine Unzufriedenheit anzeigten. Punkt, abgehakt. Lässt mich diese Situation jedoch nicht mehr los, liegt ein tieferes, kindliches Muster darunter.
Um dieses genauer zu erforschen und Heilung leichter zu ermöglichen, habe ich die 4 Schritte der Gewaltfreien Kommunikation erweitert. Zur Perspektive des Erwachsenen gesellt sich die Perspektive des inneren Kindes zusammen mit 2 neuen Schritten: "Bisheriger Glaubenssatz" und "Bisherige (Überlebens-)Strategie". Die Bewusstmachung der übernommenen Überzeugungen, die noch heute in uns herumgeistern und uns in unserer Lebendigkeit begrenzen, ist essentiell für die Integration alter Traumata. Ebenso die Würdigung der damals entstandenen Kompensationsstrategie, die nötig war, um mit dem Schmerz oder der Überforderung umzugehen. Überlebensstrategie trifft es oft noch besser, denn viele der damals entstandenen Strategien waren nötig, um unser Überleben als Kinder zu sichern. Bewegt sich die Klientin dann weiter in Richtung der Bedürfnisse, tauchen oft jene Bedürfnisse auf, die damals nicht gestillt worden sind, wie Nähe, Verständnis, Interesse, Geborgenheit oder Zuwendung. Diese gilt es, in einer Bitte an den heutigen Erwachsenen in uns zu richten. Um was kann ich mich selbst bitten, damit ich die Liebe und Anerkennung erfahre, die ich damals gebraucht hätte?
Treten wir anschließend in die Perspektive des Erwachsenen, bietet es sich an, sich zunächst auf die Gefühlskarte zu begeben und nachzuspüren, was die Einfühlung in das innere Kind in uns verändert hat. Es kann hilfreich sein, als Erwachsener dem inneren Kind zu sagen, dass die damalige Situation heute nicht mehr existiert und vorbei ist. Das Kind braucht sich nicht mehr zu schämen oder Angst zu haben, der Erwachsene nimmt sich nun seiner an und passt auf, dass dem Kind nichts geschieht.
Im nächsten Schritt der Bedürfnisse tauchen mitunter ganz ähnliche auf, wie in der Perspektive des Kindes. Viele von uns haben nie erfahren, wie sich bedingungslose Liebe anfühlt. Sie stehen damit oft selbst vor dem Rätsel, wie sie von nun an gute Erwachsene für ihr inneres Kind sein können. An dieser Stelle bediene ich mich bei den großen Weisheitstraditionen und ergänze das Feld um eine transpersonale Quelle. Wie wir sie bezeichnen, spielt hierbei weniger eine Rolle. Ob innere Weisheit, Seele, volles Potential, höheres Selbst oder etwas rationaler ausgedrückt: die Summe all meiner Ressourcen - wichtig ist die innere Möglichkeit, dass mir als Mensch überhaupt eine solche Quelle zur Verfügung steht, aus der ich schöpfen kann. Anders als wir es durch jahrtausendlange religiöse und gesellschaftliche Prägung gewohnt sind, schwer am Kreuze zu tragen und Heilung damit als Schlusspunkt einer unendlichen Kette von Mühsal und Arbeit anzusehen, erlauben wir es uns schon jetzt, heil zu sein. Einfach, weil die Liebe immer schon da war und ist. Sie geht nie verloren, auch wenn wir ein anderes Empfinden haben, weil unsere Erfahrungen uns die Sicht auf sie verstellt haben. Ich lade die Klientin somit ein, sich dem Selbst gegenüber zu stellen und von dort zu nehmen, was es gerade braucht. Das entlässt uns als Mensch nicht aus der Verantwortung, neue Strategien und Glaubenssätze zu entwickeln, die im Hier & Jetzt förderlich sind. Es fügt dem nur hinzu.
Grundsätzlich lädt die Schrittabfolge zu einem intuitiven Vorgehen ein und ist nicht festgelegt. Das heißt, die Klientin kann sich so durch die einzelnen Elemente bewegen, wie es im Prozess gerade gebraucht wird. Ich empfehle daher, die Pfeile nur als grobe Orientierung zu verstehen und dem aktuellen Impuls zu folgen, der in der Begleitung auftaucht.
Für mich erhält die GFK daher eine nützliche Erweiterung, indem die beiden Perspektiven klar voneinander unterschieden werden. Erst die Unterscheidung ermöglicht die Neuzusammensetzung. Zudem lädt das erweiterte Modell zur Ergründung der tieferen psychischen Schichten und Prägungen ein, indem es durch Trauma entstandene Muster und Konditionierungen sichtbar werden lässt. Für wahrhaft ganzheitliche Heilung braucht es zuguterletzt die Anbindung an die spirituelle Kraft und damit an unsere Essenz.
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Das erweiterte Modell:
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