Heul doch! Wie uns miese Stimmung zum wahren Glück verhilft
Ich laufe durch die Straßen. Zahlreiche Botschaften drängen sich auf, die ein Lied davon singen, wie ich den Augenblick zelebrieren, magische Momente erleben, ein Leben im glückseligen Jetzt haben kann.
Trink dies, kaufe das und dein Leben wird leicht, frohlockend und überhaupt: wen kümmert schon das Morgen, wenn das Jetzt so strahlend daherkommt?!
So hangeln wir uns von freudestrahlendem Moment zu Moment und genießen, lachen und sind einfach nur gut drauf. Leben als Dauerhappysendung, als Ansammlung von Glücksmomenten. Dass uns die Werbeindustrie seit Tag 1 ihrer Entstehung solche Botschaften ins Herz pflanzt, ist nichts Neues. Magazine wie Flow, Happinez oder Slow hauen in dieselbe Kerbe, wenn sie auf rosagetünchtem Hintergrund vom Leben im Fluss erzählen. Doch, halt, stopp mal! Sollen wir denn nicht genau das lernen? Die Lektion vom Hier und Jetzt, getragen von der universalen Liebe, die uns dauerhaftes Vertrauen und Hingabe ans Leben schenkt?
Selbst Mega-Eso-Star Eckart Tolle spricht vom Zustand des Jetzt, losgelöst von allen weltlichen Plagen, vom schnatternden und immer zuviel wollenden Ego, der uns aufzeigen soll: eigentlich ist alles gut. Wir sind getragen. Von Gott, der universalen Liebe, dem Universum. Immer.
Puh… Mein gestriger Tag enthielt so gar nichts von dem, was mir als Ideal in der esoterischen Szene oft gepriesen wird. Eine dunkelgraue Wolke hatte sich dreist über meinem Gemüt breit gemacht in der Absicht auf keinen Fall zu weichen. Ich erlebte mich selbst als unzumutbar - sowohl für mich als auch für meine restliche Umgebung. Miese Stimmung weit und breit, Leichtigkeit adé.
Nichts sind schlimmer als Tage, an denen man vor lauter nagender (Selbst-)kritik am liebsten im Einkaufszentrum abtauchen möchte. Wie schnell stellt sich dann die Tendenz ein, das allgemeine Trübsal durch Ablenkung zu bekämpfen! Ein Glas Wein, eine erheiternde Komödie, der Anruf bei einer guten Freundin oder eben das neue Paar Schuhe - allesamt einst als wirksam erprobte Strategien zur Bekämpfung der üblen Laune. Vielleicht hilft’s ja...
Ich laufe durch die Straßen. Zahlreiche Botschaften drängen sich auf, die ein Lied davon singen, wie ich den Augenblick zelebrieren, magische Momente erleben, ein Leben im glückseligen Jetzt haben kann.
Trink dies, kaufe das und dein Leben wird leicht, frohlockend und überhaupt: wen kümmert schon das Morgen, wenn das Jetzt so strahlend daherkommt?!
Wir sind es nicht gewohnt, mit derart negativer Stimmung umzugehen geschweige denn sie als Teil des Lebens zu akzeptieren. Wer will schon Gewitter, wenn er Sonnenschein haben kann? Tage wie dieser führen uns die unangenehmen Seiten des Menschseins deutlich vor Augen: düstere Gedanken, tiefe Traurigkeit, Hilflosigkeit und Ohnmacht. In solchen Momenten sind wir unseren Gefühlen und Stimmungen derart machtlos ausgeliefert, dass es uns manchmal den Boden unter den Füßen wegreißt. Wer kennt es nicht, das dunkelschwarze Loch, was sich dann unter einem auftut. Die meisten von uns haben jedoch Strategien gefunden, schnell den Deckel auf solch trübe, hilflose, gar panische Momente zu legen. Die Schwärze und damit auch die eigene Schwäche auszuhalten ist wenig verlockend.
Augenblicke wie dieser führen uns knallhart vor Augen: wir sind es nicht gewohnt, die Kontrolle abzugeben. Das Leben übermannt uns mit seinen Auf und Abs und wir versuchen, krampfhaft die Zügel zusammenzuhalten anstatt uns in den unangenehmen Zustand zu ergeben.
Am nächsten Tag hatte sich die düstere Wolke wieder verflüchtigt und ich realisierte: es ist ein beständiges Kommen und Gehen. Gefühle und Stimmungen aller Couleur tauchen auf, um anschließend wieder von dannen zu ziehen. Ein Wechsel wie Tag und Nacht. Manchmal läuft’s und die Dinge fließen uns leicht zu. Türen öffnen sich, Menschen begegnen uns freundlich und wir fühlen uns wirkmächtig, liebenswert und vertrauensvoll. Plötzlich dreht sich der Wind, die Selbstzweifel nehmen zu, Ängste kommen auf und wir sind betrübt, gereizt oder miesepetrig - manchmal ohne erkennbaren Grund.
Das Menschsein lehrt mich immer wieder: alles gehört dazu. Wir können nichts ausschließen. Es zwingt uns regelrecht dazu, die Dinge so anzunehmen wie sie sind. Unbeschönigt, so wie sie sich im Erleben zeigen. Stellen sich Miesepetrigkeit oder Melancholie ein, sind diese Zustände per se weder schlechter noch besser als Zufriedenheit, Freude oder gar Glückseligkeit. Sie sind wie sie sind und zeigen uns auf: das Leben ist ein Auf und Ab.
Erleben wir Zeiten der Trauer, Frustration oder Schwäche können wir Phasen und Momente schätzen lernen, in welchen wir uns ausgeglichen, gestärkt und selbstwert erleben. Die Kunst ist, keinem Zustand den Vorrang einzuräumen. Die Übung besteht gleichsam darin, sich von seinen Gefühlen nicht übermannen zu lassen. Dazu braucht es regelmäßige Praxis, habe ich gelernt. In der Meditation übe ich regelmäßig, mich von meinen Emotionen und Gedanken zu lösen anstatt mich mit ihnen zu identifizieren.
Dies braucht ein Dranbleiben, doch irgendwann spürt man immer klarer: es gibt eine Ebene in uns allen, die von all den Schwankungen unberührt bleibt. Ein Urgrund, der wertfrei beobachtet, wie die Wolken kommen und sich wieder in Nichts auflösen. Manchmal spüre ich, dass er da ist und mich trägt, ungeachtet meines momentanen Befindens. In anderen Momenten will es mir so gar nicht gelingen, die inneren Dämonen zu beruhigen. Die Frage, die ich mir dann oft stelle, ist:darf das sein? Darf ich mich gerade unsicher, schwach, ängstlich, wütend oder traurig fühlen?
Erst wenn ich mir die innere Erlaubnis für mein Sein gebe, kann Umwandlung geschehen, hält doch so oft nur mein Widerstand den unschön erlebten Zustand erst recht aufrecht.
Ich ziehe morgens gern eine Karte für den Tag. Kürzlich hatte ich den Spruch in der Hand „Der einzige Weg da raus, ist der Weg rein.“ Sie bringt auf den Punkt, was es im Kern braucht, mich selbst mit all dem Schönen wie Hässlichen in mir anzunehmen:
1. Wahrnehmen,
2. Annehmen dessen, was gerade in mir stattfindet.
Das schaffe ich jedoch nicht, wenn ich mich stattdessen mit Konsum der ein oder anderen Art ablenke. Wegzuschauen macht den Schmerz weder kleiner noch erarbeite ich mir damit eine adäquate Strategie für die Zukunft. Die Seelenlöcher zu stopfen statt heilen zu lassen, führt nur dazu, dass sie immer wieder aufreißen, wenn mal wieder eine Gewitterwolke naht.
Lasst uns uns also anfreunden mit allem, was sich in uns zeigt. Auch wenn es manchmal mit einer hässliche Fratze daherkommt. Wir sind nicht hier, um der Welt ständig ein Lächeln entgegenzuhalten. Es darf uns auch mal mies gehen. Sollte sogar! Wie lernen wir sonst mit dem umzugehen, was das Leben mit sich bringt? Wie halten wir sonst Täler aus?
Der schöne Augenblick kann nicht auf Knopfdruck produziert werden, wie uns die gängigen Werbebotschaften weis machen. Er ist es noch nicht einmal wert, absichtlich herbeigeführt zu werden! Wir können höchstens gnadenvoll anerkennen, dass wir nicht alles in der Hand haben. Leben widerfährt uns nur - in all seinen Facetten. Es ist nichts, was wir planen, steuern oder gar kontrollieren können. Weder mit der Cola in der Hand noch dem schicken Auto in der Garage.
#meditation #happiness #annehmen was ist
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