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Caroline Winning

Mein Weg zur Weiblichkeit

Am Wochenende stand ein Bündel Verbote vor mir. Groß, mächtig und würdevoll hatten sie sich aufgebaut, ein unumstößlicher Fels. Ich betrachtete sie ehrfürchtig in ihrer stolzen Anmut. Im Schauen kam mir über die Lippen, dass ich mich ewig mit ihnen aufhalten könnte, so eine Strahlkraft hätten sie.


Die Verbote waren Teil einer Aufstellung, in der ich der Erlaubnis nachging, ganz ich selbst sein zu dürfen. Nachdem das Ringen der beiden Anteile "Die Erlaubnis" und "Die, die ich bin" immer spürbarer und ein Zusammenkommen nicht absehbar wurde, tauchten die Verbote auf.

So, wie sie da standen, wurde deutlich: jahrhunderte-, wenn nicht gar jahrtausendelang pflasterten sie den Weg so vieler Frauen, wie auch meiner eigenen Ahninnenlinie. Beschnitten uns von unseren Möglichkeiten, zerstückelten unseren Wesenskern, lähmten unseren natürlichen Ausdruck. Kein Schritt zu viel ohne ein "Das darfst du/nicht." Vorgaben, Erwartungen, Gebote und eben Verbote legten fest, wer und wie wir zu sein hatten.

In mir waren Schmerz und Dankbarkeit zugleich. Dort, wo sie mich schützen wollten, hatten sie mich eingemauert in harte, kalte Wände. Auch wenn ich mich an sie lehnen und meine Zuflucht in ihnen finden konnte, ließen sie mir doch keinen Raum.



Ich spürte, dass ich den Schutz der Verbote, all das, was sie gemeint und gewollt hatten, hinter mir lassen musste. Ich wusste, ich würde sie nicht mit in meine Zukunft nehmen können, so schwer es mir überraschenderweise auch fiel.

Es ist manchmal furchtbar entlastend, sich nach den Ge- & Verboten dieser Welt zu richten. Sie teilen die Welt in ihrer zackenlosen Gradheit mühelos in richtig und falsch ein. Sie ziehen unmissverständliche Grenzen im Außen wie im Innen. Ich beobachte noch heute an mir als fast 40jähriger Frau, wie ich mir mit "schicklichem Verhalten" versuche, die Gunst meiner Mitmenschen zu erhaschen. Das brave Mädchen, welches erst später die eigenen Bedürfnisse wahrgenommen und ausgedrückt hat, immer mit der Sorge, nicht zu gefallen, etwas falsch zu machen.

Den Perfektionismus, den wir heute in unserer Gesellschaft vorfinden, schreibe ich unserer fehlenden Weiblichkeit und einer übertriebenen, ungesunden Männlichkeit zu. Nur keine Fehler machen, sich furchtbar schlecht fühlen, wenn andere durch unser Verhalten missgelaunt werden. Noch schlimmer: die Dinge fest im Griff halten zu wollen, nichts dem Zufall zu überlassen.

Im Umkehrschluss: es uns nicht zu erlauben, all diese zarten, kraftvollen weiblichen Qualitäten wie Verletzlichkeit, Schwäche, Nichtwissen und Berührbarsein in uns zuzulassen und sich mit ihnen zu zeigen.


Wenn die Antwort nicht gleich da ist, sind wir Dummköpfe; wenn wir scheitern, Versager:innen. Wenn wir weinen, sind wir Schwächlinge, wenn wir zu lange warten oder gar träumen, gibt es irgendwen, der uns antreibt. Die Folge sind Frauen, die funktionieren, sich einfügen, den Kopf einziehen und ihre Scham, Wut und Trauer entweder runterschlucken oder in bitterer Galle ausspucken und andere für ihr Leid bezahlen lassen.


Wir lernen als Gesellschaft erst mühevoll, langsam, wie es ist, eine Weiblichkeit zu leben und zu zelebrieren, die uns Menschen das Maß an Gefühl, Empathie und Liebe schenkt, das es braucht, um wahrhaft menschlich zu werden. Menschlich als eine Weise, die das Laute wie das Leise schätzt, das Fertige wie das Unfertige, das Gemeinsame wie das Alleinige. Menschlich in dem Sinne, dass wir erfühlen und dann begreifen, dass wir alle und alles, was es gibt, unabänderlich zusammenhängen. So werden aus den Dingen, die heute noch als mangelhaft oder falsch bezeichnet werden, lauter Gelegenheiten, die Vielfalt des Lebens zu preisen und zu erkennen, dass jeder Mensch und jeder Weg in ihrer/ seiner Einzigartigkeit schätzens- und schützenswert ist.


Nachdem ich mich von den Verboten abgewendet und meinen beiden Anteilen zugewendet hatte, floss ein elektrisierender, warmer Strom durch mich hindurch. Ich wusste: das Territorium, welches ich jetzt betrete, ist neu, fast gänzlich unerkundet. In seiner Unbekanntheit wird es uns alle mit in unseren Grundfesten erschüttern, so wie kleine Vibrationen meinen Körper packten.



Wenn ich, wenn wir Frauen uns zukünftig zeigen mit unserer Verletzlichkeit, unserer Liebe und unserem Potential, Verbindungen herzustellen, wird eine neue Zeit kommen. Eine radikale Zeit, eine, die durchlässig ist für Freude wie für Schmerz. Eine Zeit des Fühlens, in der unser Berührtsein als stabile Basis für solidarische Lösungen dient. Eine Zeit des Nichtwissens und Aushaltens, in der wir schlicht sein dürfen und all das emsige Tun und die klugen Ratschläge Pause haben. Eine Zeit, in der wir uns mit uns selbst und anderen verbinden, fernab von Urteilen, Vergleichen und schnellem Ausschluss.

Eine tiefe Ruhe dehnt sich aus, wenn ich Bilder daraus in mir zutage treten lasse. Die Hinwendung zum Weiblichen, zur weiblichen Weisheit und Wärme erschließen einen Raum in mir, der sich heil, berührbar und gewollt anfühlt.


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