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Caroline Winning

Mit Zahnschmerzen geht man nicht zum Urologen - wie Coaching besonders wirksam ist

Die Coaching- & Therapielandschaft ist bunt und bietet mit ihren vielfältigen Ansätzen ein Meer an Möglichkeiten für jeden Bedarf. Sei es NLP, Achtsamkeit, WingWave, Grinberg, systemisches Coaching, Aufstellungsarbeit oder Rückführung, um nur einige ganz wenige Verfahren zu nennen, die Palette ist schier unendlich. Das macht es nicht nur unübersichtlich, sondern auch interessant mit Blick auf die Wirkkraft dieser ganz unterschiedlichen Ansätze. Was taugt mir für mein Problem, fragt sich der Klient und entscheidet oft letztlich nach Bauchgefühl oder auf Grund von Empfehlung. Auf welcher Basis will man sonst entscheiden, welcher Ansatz der Richtige ist, wo eine klare Orientierung schlicht fehlt. Was in der Medizin längst eindeutig ist, fehlt im Bereich Coaching & Therapie grundweg: ein Wissen um die Fragen: "Was hilft bei welchem Anliegen? Und weshalb?" Immerhin haben wir es hier mit der Heilung der Seele zu tun, diese will frau/man doch in besonders fachkundige Hände legen...


Unter dem Titel "Reden reicht nicht" finden seit geraumer Zeit lebhafte Diskussionen und Tagungen statt, die sich mit den (Miss-)Erfolgen von Coaching & Therapie auseinandersetzen. Bessel van der Kolk, renommierter Traumatherapeut, wies erst kürzlich darauf hin, dass die klassischen Therapieverfahren wie Tiefenpsychologie und Verhaltenstherapie am psychischen Leiden oft vorbei gehen. Gerade entwicklungsbedingte Traumata sind bis heute in keinem einzigen psychologischen Manual aufgeführt und werden somit schlichtweg weder diagnostiziert noch angemessen therapiert. In Folge dessen verpuffen die beiden meistgenutzten therapeutischen Ansätze bisweilen wirkungslos und kosten vor allem viel Zeit & Geld.


Reden reicht (oft) nicht

Falls jetzt erschrocken die Hände über dem Kopf gerissen werden, weil ich wild zwischen Coaching und Therapie hin- und herspringe, sei beruhigend gesagt: mit Hilfe der Integralen Theorie (nach Ken Wilber) bringen wir wieder Ordnung in das Chaos. Sie bietet für die heutigen Bedarfe an Heilung und Persönlichkeitsentwicklung eine sortierende Landkarte, welcher Ansatz für welchen Coachinganlass oder welches Persönlichkeitsdefizit effektiv heilsam ist.

Das führt uns zuallererst den Entwicklungsebenen als einem wesentlichen Bestandteil der Integralen Theorie: diese verdeutlichen, welche Phasen Menschen im Zuge ihrer Entwicklung durchlaufen. Jede dieser Phasen geht einher mit unterschiedlichen Fähigkeiten, Entwicklungsaufgaben und -bedürfnissen. Damit liefern die Ich-Entwicklungsebenen uns ein hilfreiches Modell über Entstehung und Hintergründe psychischer Themen.



Innerhalb einer Ebene wie auch im Übergang von einer in die nächste Ebene kann es zu Fehlentwicklungen in Folge des Zusammenspiels von Genetik & Umwelt kommen. Der grafische Überblick zeigt die typischen Lernaufgaben und die in den Phasen auftretenden Defizite, sobald es zu einer ungünstigen Entwicklung kommt. Somit finden wir in jeder Stufe sowohl entwicklungsangemessene wie pathologische Ausprägungen.

Ein idealtypischer Verlauf der Persönlichkeitsentwicklung ist eher selten. Ungünstig kann es immer dann werden, wenn relevante Bedürfnisse nicht gesehen und befriedigt werden können, entweder weil Elternteile ausfallen, schwere Ereignisse wie Krankheit eintreten oder die Sozialisation in einem Umfeld stattfindet, welches durch Mangel und Nöte geprägt ist.


Stufen der Entwicklung und ihre psychischen Fehlentwicklungen (Quelle: W. Weinreich)

Erlebt ein Kind in seiner ersten Entwicklungsphase bspw. Vernachlässigung durch die Bezugspersonen, wirkt sich dies auf die Entstehung von Urvertrauen aus. Tritt ein Entwicklungstrauma im späteren Kindesalter auf, können narzisstische Grundstrukturen oder blockierende Skripte, also Glaubenssätze, auftreten. Auf jeder Ebene entstehen spezifische Themen und Störungen, die somit entsprechende Behandlung brauchen.

Dabei ist wichtig zu beachten: jede Ebene verfügt über ihre spezifischen Verarbeitungsmodi. Während Babies körperlich-emotional mit ihrer Umwelt agieren, steht Kindern im Alter von 8 Jahren bereits die Sprache zur Interaktion zur Verfügung. Dies sollte von Coaching und Therapie berücksichtigt werden, um zu verstehen, weshalb manche Ansätze nicht oder nur geringfügig greifen. Haben wir es bspw. mit Bindungsthemen zu tun, deren Entstehungszeit in den ersten 3 LJ liegt, taugen uns Ansätze, die körperlich und emotional arbeiten. Mit systemischen Fragen kann ich als Coach sicherlich die Perspektive lockern und neue Erkenntnisse zutage fördern, behebe jedoch nicht die Angst vor Ablehnung oder zuviel Nähe. Stattdessen wären Verfahren wie die Ego-State-Therapie, das Klopfen, Atemtechniken oder Prakiken aus dem Somatic Experience geeignet, um tiefgehende Heilung zu ermöglichen.


Die nächste Grafik liefert einen ersten Überblick über einige passende Coachingverfahren je Entwicklungsebene:



Damit sind wir im Coaching und auch in der Therapie vor neue Herausforderungen gestellt, denn: diese Erkenntnisse wollen systematisch genutzt werden, um Heilung effektiv und effizient zu machen. Auf den Punkt gebracht: Mit Zahnschmerzen geht man nicht zum Internisten und mit einem Geburtstrauma nicht zur Gesprächstherapie.

Körperorientierte Verfahren sind angezeigt für die beiden untersten Stufen, Gefühlsarbeit für die zwei nächsthöheren Ebenen, während kognitive Ansätze vor allem erst ab den mentalen Stufen wirksam sind. Mit dem Beginn der überbewussten Entwicklung ab der gelben Ebene und ihrem zunehmenden Bedürfnis nach Transzendenz ist weniger Coaching oder Psychotherapie als vielmehr spirituelles Geleit gefragt.

Damit ist nicht impliziert, dass Coaches Methoden auf allen Ebenen abdecken können oder sollen. Die Entscheidung, sich in seinem Coachingansatz ganzheitlich(er) liegt bei jede/r selbst. Sinnvoll ist jedoch das Wissen um Ebenenspezifika und ihre Behandlung, um entweder passgenaue Interventionen anzubieten oder geeignete Kolleg:innen zu empfehlen. Die Intention, nachhaltig wirkungsvoll zu coachen, sollte jedoch Anliegen jeder/s Coaches sein, was die Beschäftigung mit der Ich-Entwicklung allemal lohnenswert macht.


Ein weiterer essentieller Baustein Integralen Coachings sind die 4 Quadranten der Integralen Theorie. Ihnen widme ich einen eigenen Beitrag. Für jetzt begnüge ich mit dem Ausflug in die Entwicklungsebenen und ihrer Bedeutung für Coaching und Therapie.



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