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Caroline Winning

Unsere lieben Sorgen und Wege zur inneren Ruhe

Sorgen - wer hat sie nicht? Die meisten von uns kennen diesen Zustand plagender, angsterfüllter Gedanken, die sich schwer und breit auf unser Gemüt legen. 'Werde ich den Job behalten?', 'Wird es den Kindern gut gehen?', 'Bekommen wir ein Kind?' - vor allem letztere Sorge kenne ich nur zu gut und ließ mich monatelang von ihr quälen. Eine trübselige Armada ewig gleicher Nervenkobolde, die ohne Unterlass auf der zur Seite springenden Realität rumhacken.

Denn mit der Realität haben Sorgen so gut wie gar nichts zu tun, sind sie doch Ausdruck der Unfähigkeit, im Hier und Jetzt zu sein. Sorgen nehmen eine Zukunft vorweg, die noch gar nicht da ist und so wie gedacht meist auch nie eintritt. À la Mark Twain, der sagte:


„In meinem Leben habe ich unvorstellbar viele Katastrophen erlitten. Die meisten davon sind nie eingetreten.“


Die gute Nachricht ist: ja, Sorgen lassen sich abstellen. Es ist ein Stück Weg, der oft nicht mit einem Mal gegangen ist, sich jedoch lohnt. Im Ergebnis erleben wir, wie es ist, tatsächlich im Hier und Jetzt zu sein, frei von Störgedanken, die uns einreden, alles wäre furchtbar schlimm.


Doch woher kommen Sorgen? Und haben sie nicht vielleicht auch ein klein bisschen Recht?


Recht vielleicht nicht, aber Berechtigung. Für mich waren und bleiben sie ein Schlüssel, zu meiner Ganzheit zu finden. Zudem halte ich es simpel: nichts im Universum ist sinnlos, auch wenn es sich im ersten Moment so anfühlt. Auch unsere Sorgen weisen auf einen tieferen "Sinn" hin, wobei hier das Wort Berechtigung besser passt. Doch erst einmal zur Frage: wie kommen die Sorgen in die Welt?

Sorgen sind eine Ausgeburt unseres rationalen Apparates, unseres Verstandes. Sie werden im Kopf produziert und treiben von dort aus ihr Unwesen, indem sie uns die Sicht trüben und die Stimmung vermiesen. Unseren Verstand gibt es erst einmal nicht zu kritisieren. Am Ende nimmt er einfach nur das Stöckchen, was man ihm vorhält und rennt damit los.

Wenn wir uns Ziele setzen oder kleine wie große Pläne schmieden, ist er ein wichtiger Begleiter für uns. Mit seiner Hilfe planen wir unseren Urlaub oder das nächste berufliche Projekt, koordinieren unsere Familientermine oder erledigen die Steuererklärung. Er ist der große Meister darin, die Zukunft zu entwerfen, indem er so viele Informationen wie möglich in der Luft hält und versucht, möglichst alle gleichzeitig zu jonglieren.

Unser Verstand ist unserem Wachbewusstsein zugeordnet. Das merken wir daran, dass unsere rasselnden Gedanken morgens beim ersten Augenaufschlag loslegen und erst innehalten, wenn wir die Vorhänge wieder zuziehen und das Licht ausknipsen. Mit Ausnahme der Hartnäckigsten unter ihnen: sie schleichen sich heimlich unter die Bettdecke und traktieren uns auch zur tiefsten Stunde unbeirrt mit ihrem Mist.


Unsere Gedanken und damit auch unsere Sorgen werden zum allergrößten Teil nicht bewusst von uns gesteuert und entstammen den tieferen, unzugänglicheren Strukturen unseres Bewusstseins: dem Unbewussten in uns.

Und das hat Kalkül: Sorgen treten an die Oberfläche als Produkte unverarbeiteter, verdrängter und unbewusster Glaubenssätze, (kollektive) Erfahrungen, systemischer Muster sowie nicht integrierter Anteile unserer Psyche, die wir mit uns rumschleppen. Im Grunde serviert uns das Leben mit ihnen unseren nächsten Entwicklungsschritt auf dem Goldtablett, indem es schreit: "Hier, davon kannst du dich mal befreien, wird Zeit!"


Mir ging es eine zeitlang schrecklich mit meinen Sorgen rund um den Kinderwunsch. Grausige Phantasiegebilde malten eine düstere Zukunft voller Schmerz, Verlust und Mangel. Es war leidvoll, immerhin konnte ich kaum anders als ihnen Glauben zu schenken, so stark war ihre Macht.

Im Wissen darum, dass sich hier etwas ausdrücken möchte, was sich als grauverhangener Nebel in meinem Kopf tarnt, nahm ich mich und meine Gedanken ernst. Konkret hieß das: ich schaue aufmerksam hin, was sich hier eigentlich zeigen will und lerne, was es heißt, wirklich Ruhe im Kopf zu schaffen. Los geht's:


Wie werde ich sie denn nun los, verdammt!?


Atme. Atmen hilft. Immer. Auch wenn es schwer ist, das anfangs zu glauben. Es geht dabei auch nicht darum, die Sorgen weg zu atmen, sondern schlicht darum, dich mit etwas zu verbinden, was wirklich ist, während die düstere Zukunft nur in deinem Kopf stattfindet. Hol dich raus aus dem 'Was könnte sein...' hin zum gegenwärtigen Augenblick. Je öfter du das tust, desto leichter fällt es dir, Abstand von deinen Gedanken zu bekommen und mit dieser Distanz zu sehen, dass das meiste von ihnen reine Hirngespinste sind. Das Praktische: wir haben den Atem immer dabei, daher kann er uns jederzeit dienen.


Geh ins Gefühl. Fühlen statt denken ist sowieso das Motto des 21. Jahrhunderts, also kannst du hiermit gleich beginnen. Viele von uns sind es nicht gewohnt und tun sich schwer zu fühlen statt zu denken. Hier hilft dir dein Körper, denn Gefühle haben wir immer nur in Verbindung mit unserem Körper. So steckt die Wut im Bauch, der Angstkloß im Hals und der Druck auf der Brust. Wenn dich also eine Sorge anfliegt, spür in dich hinein: wie fühlst du dich, wenn du das denkst? Gib deiner Emotion Raum, das heißt lass sie sich ausbreiten und fühle sie so intensiv du kannst. Oft nehmen wir wahr, wie die Gefühle und damit auch die Sorgen kleiner werden, wenn wir aus dem Kopf aussteigen und ins Fühlen kommen.


Lern deine inneren Anteile kennen. Viele Sorgen stammen von inneren Teilpersönlichkeiten in uns. Meine beiden großen Sorgentreiber sind der Innere Kritiker sowie das Innere Kind. Beide sind mir schon lange vertraut und melden sich immer mal wieder zu Wort. Die Kleine will um jeden Preis geliebt werden und der Kritiker nur nichts falsch machen. Perfektion, bitteschön! Im Wissen um sie als Anteile von mir nehme ich meine Sorgen als Ausdruck ihrer Bedürfnisse, mich zu beschützen und verbunden zu bleiben, wahr. Wenn ich auf diese Weise mit ihren Bedürfnissen verbinde, ihrer bewusst werde und sie achte, beruhigen sich meine innere Stimmen und beenden ihr Sorgenmantra. Unsere inneren Anteile näher kennenzulernen verschafft uns damit einen liebevollen Weg, sich um uns zu kümmern und wieder trockenen Boden unter den Füßen zu kriegen.


Lern deine systemische Herkunftsfamilie (besser) kennen. Viele Sorgen hatten bereits auch unsere Eltern, Großeltern usw. in ähnlicher Form. Begründet, immerhin erlebten sie zumeist härtere Schicksale als die heutigen Friedensgenerationen. Zu ihren Zeiten ging es meist weniger um Selbstverwirklichung als um pures Überleben, Sicherheit oder Anpassung. Deren Sorgen entstammten direkten Ängsten, die sich um die Gewährleistung von Existenz drehte. Da wir heute wissen, dass erlebte Traumata transgenerational über 7 Generationen weitergegeben werden, wenn sie nicht verarbeitet sind, landet oft ein Großteil ihrer Sorgen auch bei uns. In diesem Fall können Familienaufstellungen dabei unterstützen, sich von der Last massiv plagender Sorgen zu lösen. Meine letzte Begegnung galt meinen Großtanten: Auf der Spur der Sorge 'Bei mir klappt es nicht mit dem Kinderkriegen' landete ich bei ihnen und der Tatsache, dass ich in unserer Familie die erste Frau wäre, beruflich erfolgreich UND zugleich Mutter zu werden. Diese Erkenntnis verdiente besondere Achtung und hat im Bewusstwerden dazu geführt, dass ich heute frei von dieser Sorge bin.

Praktiziere Meditation (oder irgendeine andere Form der Gedankenbeobachtung.) Gedanken und damit auch Sorgen kommen und gehen. Sorgen sind der weitaus penetrantere Bruder unserer Gedanken, nichtsdestotrotz zelebrieren auch sie ein Eigenleben und besuchen uns mal mehr und mal weniger. Es ist daher wichtig, dir klar zu machen: du hast zwar Sorgen, bist sie aber nicht. Ja, sie sind (noch) Teil von dir, machen dich aber nicht gänzlich aus. Du kannst dich von ihnen lösen, indem du sie beobachtest anstatt von Kopf bis Fuß in sie einzutauchen.

Meditation schult den inneren Beobachter - die Instanz in uns, die wahrnimmt, ohne sich zu identifizieren. Wir trainieren diese Quelle von Entspanntsein auch, indem wir achtsamer im Alltag werden. Den Wind bewusst auf der Haut spüren, die Vögel singen, die Blätter rauschen hören, den Duft des Kaffees atmen - allesamt wunderbare Gelegenheiten, die eigene Wahrnehmungsfähigkeit zu erhöhen, mit der du beginnst, deine Sorgen zu beachten, ohne ihnen unnötig weitere Aufmerksamkeit zu widmen. Denn: sie verschwinden auch wieder, darauf ist Verlass.


Zum Schluss: die Kombi macht's. Es gibt viele Wege, die zur inneren Ruhe und damit raus aus dem Sorgendickicht führen. Hauptsache, wir beginnen sie zu gehen...

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